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Selbstverteidigungstraining unter wirklich realistischen Bedingungen!

Ein einzigartiges Projekt wurde am vergangenen Samstag in Marburg durch den Hessischen Ju-Jutsu Verband e.V., der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung sowie dem Landgericht Marburg verwirklicht. So viel Know-how in einen Lehrgang zu packen, gelingt nicht immer. Doch unter der Initiative von Uwe Nößler (Budo-Sportclub Samurai Marburg) und der Organisation von Martin Silbersack (Vizepräsident HJJV) konnten die Weichen für einen Lehrgang gestellt werden, den es so im gesamten Bundesgebiet noch nicht gab.
Die Situation…?! Du befindest Dich mit einem Reisegefährten, welchen Du gerade im Zug von Kassel nach Gießen kennen gelernt hast, in einer berüchtigten Bahnunterführung in Marburg. Hier wirst Du Zeuge, wie eine Frau um Hilfe fleht. Sie wird von einem Mann aggressiv bedrängt, gestoßen und angeschrien! Was ist zu tun? Helfen! Das ist klar, aber wie?
Durch eine kleine Auffrischung zum Notwehr- und Festnahmerecht, auf das sich jeder berufen kann, wurden die Teilnehmer ganz sanft in ein Szenarien-Training der Extraklasse herangeführt. Nach der Theorie folgte sofort ein praktischer Teil. In den Vereinen trainieren wir häufig die Situation: Ein Verteidiger trifft auf einen Angreifer! Auch die Auseinandersetzung gegen zwei Angreifer ist uns nicht fremd. Bei dem planvollen Vorgehen zu zweit, stoßen wir jedoch oft an unserer Grenzen. In unserem Verband gibt es jedoch Ju-Jutsuka, welche sich ständig mit diesem Thema befassen – Polizeibeamte! So konnte unser Beauftragter für die Polizei, Martin Silbersack, der selbst als Polizeitrainer tätigt ist, seine Erfahrungen und Hinweise für das Training dieser speziellen Situation weitergeben. Ausgerüstet mit dieser Vorbereitung galt es, nun die oben beschriebene Lage zu lösen.
Oft wird behauptet: „Die Polizei ist nie da, wenn man sie braucht!“ Doch nicht an diesem Samstag! In das Szenario eingebettet war das Auftreten und Handeln der Polizei. Diese kam, wie zufällig, genau in dem Moment zum Geschehen dazu, als der Aggressor durch die Teilnehmer in die Schranken gewiesen wurde.


Die Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung war eigens für diesen Lehrgang mit 4 Einsatztrainern und 6 Polizeikommissar-Anwärtern angereist. Für die Studierenden der Abteilung Kassel ist das Szenarien-Training ein fester Bestandteil Ihrer Ausbildung. Somit konnten diese nicht nur als die Szenen-Darsteller, sondern auch als die Polizei vor Ort eingesetzt werden. In der Ausbildung zum Polizeibeamten stehen normalerweise keine Zivilisten mit Kampfsporterfahrung zur Verfügung. Somit war dieses Einsatztraining eine Besonderheit, welche es in dieser Form in Hessen noch nicht gab.
Ob die Teilnehmer des Lehrganges wirklich einen kühlen Kopf behalten können, wurde bei dem Lehrgang immer wieder auf die Probe gestellt. So waren die Teilnehmer mit einem Transponder ausgerüstet, welcher mittels Funkübertragung die aktuelle Herzfrequenz an einen Computer übersendete. Im Anschluss an das Szenario konnte somit gleich überprüft werden, wie hoch das Stresslevel der Teilnehmer war. In einer weiteren Einheit wurden diese dann ausgewertet. Der Polizei-Einsatztrainer Gilbert Waninger machte sodann deutlich, welche Körperreaktionen durch den Stress hervorgerufen werden. Der Verlust der Feinmotorik oder ein Tunnelblick stellen die erfolgreiche Bewältigung einer Nothilfeszene vor große Herausforderungen. Auch die Wahrnehmung und das Erinnerungsvermögen können bei allzu hohem Stress beeinträchtigt werden.
Gerade diese beiden Fähigkeiten sind jedoch essentiell für die erfolgreiche Verteidigung der eigenen Handlungsweisen in einem Gerichtssaal. Auch dieser Aspekt der Selbstverteidigung sollte am 13.10.2018 nicht zu kurz kommen. Im großen Schwurgerichtssaal des Landgerichts Marburg erwartete die Teilnehmer die Simulation einer Gerichtsverhandlung. Robin Ruff, 1.Vorsitzender des 1. Sprendlinger Judo Verein e.V. musste zusammen mit seinem Strafverteidiger Peter Thiel das Gericht davon überzeugen, in einer Nothilfesituation angemessen reagiert zu haben. Die Anklage der Körperverletzung, vorgetragen durch den Staatsanwalt Timo Ide, wurde im Laufe der Verhandlung sogar zu einer Gefährlichen Körperverletzung qualifiziert. Durch eine klassische Würgetechnik des Angeklagten stand im Raum, dass der Geschädigte einer Gefahr des Todes ausgesetzt war! In diesem Fall wäre eine Geldstrafe kein mögliches Strafmaß für das Gericht gewesen. Doch nach der Vernehmung aller Zeugen und den Aussagen der beteiligten Polizeibeamten kam die Richterin Jaqueline Kempfer zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte sich auf den Rechtfertigungsgrund Nothilfe berufen kann. Dies wurde auch durch den Videobeweis, im Anschluss an die Verhandlung, bestätigt.

Die Behauptung, bei dem Lehrgang handele es sich um eine Win-Win Situation für alle Beteiligten, ist in nachträglicher Betrachtung stark untertrieben. Unsere Ju-Jutsuka konnten nicht nur ihr Können in einer realitätsnahen Situation auf die Probe stellen, sondern gewannen auch einen Einblick in das Handeln der Polizei und Justiz. Die Studierenden der Polizei hatten die Möglichkeit, ihr Einsatztraining und Handeln zu überprüfen. Die Juristen des Landgerichts Marburg erhielten einen tiefen Einblick in das Kampfsport- und Selbstverteidigungstraining. Eine Gerichtsverhandlung direkt im Anschluss an ein Szenentraining bot weiterhin für alle Teilnehmer die Möglichkeit, ihren Erfahrungshorizont zu erweitern.
Die Organisatoren der Veranstaltung sind sich jetzt schon einig, dass dieser Lehrgang nächstes Jahr wiederholt werden soll. Schließlich musste der Teilnehmerkreis für den Lehrgang beschränkt werden. Und wir sind uns sicher, dass es viele Ju-Jutsuka in Hessen gibt, welche sich dieses Erlebnis nicht entgehen lassen!

 

 

Bericht: Martin Silbersack
Fotos: Eiko Woesner

 

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